Jeden Dienstag um 10.00 Uhr treffen sich die Seniorinnen unserer Gruppe, Spinnstube genannt, in der Gemeinde. Seit vielen Jahren kommen wir Frauen regelmäßig zusammen, anfangs, um auf ihre Kinder in der Spielgruppe zu warten, später, um Handarbeiten und Basteleien für die Bazare anzufertigen und schließlich, um den Lebensabend gemeinsam mit alten Freundinnen bei anregenden Gesprächen und Tätigkeiten zu bereichern. Inzwischen haben sich auch andere Frauen hinzugesellt. Die Altersspanne reicht von Ende 60 bis 96 Jahre.
Am Faschingsdienstag nun stellte sich die Frage: Wollen wir Fasching feiern? So mit Maske und Bart, mit Verkleidung und Täterä? Och nöö! Aber lustig wollen wir sein? Na klar, auf Berliner Art eben!
Und so kam die Idee auf, ein Fest zu organisieren, das in aller Welt gern gefeiert wird: Eine Hochzeit!
Per Los wurde das Brautpaar ermittelt, mit wenigen Utensilien entsprechend eingekleidet und dann von der Pseudo-Standesbeamtin über ihre Rechte und Pflichten belehrt. Da die meisten von uns verheiratet sind oder waren, erregte die Aufzählung einiger Verrichtungen den lebhaften Unmut der Hochzeitsgäste. Schließlich waren selbst dem Brautpaar die künftigen Verhaltensweisen in der Ehe nicht geheuer. So antwortete die Braut auf die Frage, ob sie ihrem Ehemann ein Leben lang untertan sein wolle, prompt mit „Nein“. Auch der Bräutigam wollte nicht, dass er seine Angetraute als lebenslange Hausangestellte ansehen sollte und verweigerte sein „Ja“! Es blieb der „Standesbeamtin“ nichts weiter übrig, als die Fragen anders zu formulieren: „Wollt ihr für heute ein Faschingsehepaar sein?“ Damit erntete sie volle Zustimmung.
Mit dem Hochzeitstanz und einer Kaffeetafel mit Pfannkuchen und Sekt wurde das Ereignis gebührend gefeiert. Zum Schluss gab es traditionell den Brautstrauß-Wegwurf, den eine Witwe auffing. Demnach könnten wir im nächsten Jahr wieder eine Hochzeit ausrichten, aber sie erklärte, nicht mehr heiraten zu wollen.
Uns ist trotzdem nicht bange, wir werden ein neues Thema finden, wenn alle wieder Lust haben werden mitzuspielen. Verraten will ich noch, dass unser entzückender Bräutigam 96 Jahre alt geworden ist, seine Braut hat die 75 überschritten.
Und so sangen wir fröhlich: „Wir sind die alte Garde bei uns in Tempelhof. Ob siebzig oder neunzig Jahr, wir haben jetzt ein Hochzeitspaar, ho ho ho – bei uns in Tempelhof.“
Am Ende des Vormittags haben sich beide aber wieder getrennt – das Risiko von Flitterwochen wollten sie nicht eingehen.
Ursula Longardt