Woran merke ich, was ich geschafft habe? Eine Frage, die man sich jeden Tag stellen kann oder auch im Rückblick auf das Leben. Das könnte passen zu dieser Ausgabe des Gemeindebriefs, die den November mit umfasst. Im November liegt meistens das Ende des Kirchenjahres und damit die wichtigen Gedenktage Buß- und Bettag und Ewigkeits- oder Totensonntag. Das sind nicht die berühmtesten oder beliebtesten Feiertage der Kirche. Vielleicht weil sie eine etwas düstere Stimmung verbreiten, passend zur düsteren Jahreszeit. Ich persönlich finde, ihnen hängt die düstere Stimmung zu Unrecht an, sondern es sind Tage, die sich auch ganz hoffnungsvoll in die Zukunft richten. Aber ich bestimme nicht, wie etwas im Allgemeinen wahrgenommen wird.
Was habe ich geschafft und wie habe ich es geschafft? Wichtige Fragen, um auf das Leben und seine Leistung zurückzublicken.
Vielleicht auch mit Stolz. Was habe ich alles geschafft!
Aber das passiert nicht so oft, denn es gäbe ja mehr zu erreichen und zu schaffen. Und irgendwer stand mir im Weg, weshalb das nicht geklappt hat.
Mir scheint, als wäre eine solche Grundstimmung gerade weit verbreitet.
Kürzlich habe ich ein spannendes Interview mit Bürgermeistern und Landräten aus der Lausitz gelesen. Diese alte Kohle-Region hat einen gravierenden Strukturwandel hinter und weiter vor sich. Es muss viel geschafft werden. Und: überraschenderweise sind die wirtschaftlichen Kennzahlen dort recht gut. Es gibt Milliarden an Investitionen und Fördermitteln, Firmen und Behörden und Institute siedeln sich und bringen Arbeitsplätze, selbst das Strukturprogramm aus der Politik scheint klug geplant, man will weiter den bekannten Energiegewinnungssektor im Auge behalten, aber neue Technologien fördern und die Menschen der Region mit Arbeitsplätzen und Zuwachs in der Expertise daran beteiligen. Überhaupt wächst in Brandenburg die Wirtschaft schneller als irgendwo sonst in Deutschland, sogar schneller als in Bayern.
Trotzdem ist die Stimmung schlecht.
Was wurde geschafft? Nichts. Angeblich. Was soll schon noch geschafft werden? Alles wird schlimmer.
Und es werden Menschen gesucht, die daran schuld sein sollen. Die da oben und die ganzen Ausländer mit Vorliebe, die es in der Anzahl, mit der über sie geredet wird, dort überhaupt nicht gibt. Dass die da oben, die in Verantwortung stehen, ihren Teil zur Lage beitragen, mag so sein. Aber für die Einschätzung der Lage und die daraus folgende Stimmung sind wir auch alle selbst verantwortlich. Was will ich sehen und wie gucke ich darauf? Was geschafft wurde oder was schlecht lief? Voller Zorn oder gnädig und hoffnungsvoll?
Der Monatsspruch für den Oktober heißt:
Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. (Klagelieder 3,22-23)
In den sogenannten Klageliedern hören wir den Propheten Jeremia im zerstörten Jerusalem klagen. Da ist wirklich viel schlecht gelaufen. Und es gäbe Grund zur Hoffnungslosigkeit. Aber er stellt fest, dass er und sein Volk noch da sind. Und er stellt fest, dass sie nicht allein da sind. Wir sind viel gewohnt: an materiellen und anderen Möglichkeiten. Einfach nur noch da zu sein, erscheint uns nicht als Güte. Vielleicht ist es das aber doch. Denn alles, was wir geschafft haben an Frieden und Wohlstand und Freiheit ist nicht selbstverständlich. Es ist harte Arbeit gewesen in der Vergangenheit und Gottes Güte lag darauf, sonst wäre es nicht gelungen.
Seine Güte, seine Barmherzigkeit, seine Treue, haben noch kein Ende. Passt unsere Stimmung dazu? Wenn nicht, dann sollten wir in unsere Beurteilung der Lage wohl mehr den da ganz oben einbeziehen, den Herren der Geschichte, der alle Völker dieser Welt gemacht hat und mit Liebe regiert.
Pfr. Marcel Borchers (im Gemeindebreif Oktober/November 2024)
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